Leitwölfe sein Liebevolle Führung in der Familie – Jesper Juul

Zuletzt aktualisiert am 25. August 2022

Mit seinem Buch Leitwölfe sein Liebevolle Führung in der Familie fordert Jesper Juul bereits mit seinem Titel Eltern dazu auf, als Leitwölfe zu führen. Es ist nicht besonders verwunderlich, dass heute darauf hingewiesen werden muss, dass Eltern in der Erziehung die Führung übernehmen sollten.

Denn Erziehung ist nicht nur im Wandel, sondern in der Krise. In meiner Artikelserie Was bedeutet Erziehung suche ich Antworten darauf, warum die Auffassungen hinsichtlich Erziehung soweit auseinander gehen.

Die Bücher von Jesper Juul werden von vielen Menschen gelesen. Seine Hinweise werden teilweise als bahnbrechend bezeichnet. Damit hat Jesper Juul die Entwicklung bezogen auf Erziehung auch in Deutschland nachhaltig beeinflußt.

Ich schaue mir in diesem Artikel die Inhalte seines Buches Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie etwas genauer an.

Kinder brauchen Leitwölfe in der Familie

Jesper Juul erklärt bereits in der Einleitung seines Buches den Titel seines Buches. Er hält fest, das Erziehungswissenschaftler und Pädagogen, auch er selbst, über viele Themen streiten. Doch eines ist völlig klar und bedarf keiner Debatte:

Kinder brauchen Führung durch Erwachsene

Jeder wird dem zustimmen. Doch dann beginnt Jesper Juul bereits damit, mehr Fragen aufzuwerfen als Antworten zu liefern.

Er erzählt von einem Brief, den er einmal von einer Mutter erhalten hat. Die Mutter schrieb, dass ihre zweijährige Tochter nicht in den Kindergarten wollte. Weiter heißt es im Buch:

Eines Tages hat die Mutter zufällig drei oder vier Gummibärchen im Auto gefunden und gesagt: “Wenn du jetzt kommst, kriegst du die Gummibärchen.” Zu der Zeit, als die Mutter mir schrieb, forderte ihre Tochter schon mindestens zweihundert Gramm Gummibärchen, wenn sie ins Auto einsteigen sollte, und die Mutter fragte: “Was mache ich jetzt?

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, Jesper Juul, Seite 12

Jesper Juul stellt fest, dass die Gummibärchen in wenigen Monaten nicht mehr funktionieren werden und fragt, wie man das in einem solchen Fall mit der Führung macht. Seine Antwort lautet:

Die Antwort ist im Grunde einfach und trotzdem schwierig. Es geht darum, seine Kinder kennenzulernen, ihre persönlichen Grenzen kennenzulernen, sich diesen gegenüber respektvoll zu verhalten und mit seinen Kindern so authentisch wie möglich umzugehen. Das ist das Thema des Buches.

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, Jesper Juul

Eltern sollen ihre Kinder und ihre Grenzen kennenlernen. Sie sollen sich diesen gegenüber, also den Kindern und ihren Grenzen gegenüber, respektvoll verhalten und mit ihren Kindern so authentisch wie möglich umgehen.

Doch was ist damit gemeint und wie geht das?

Für diese Frage liefert Jesper Juul leider keine klaren Antworten. So schreibt er in seiner Einleitung auch, dass Leser mit der Erwartung, in seinem Text würde er eine Methode beschreiben, enttäuscht sein werden.

Orientierungslose Eltern

Bemerkenswert ist die Feststellung von Jesper Juul, dass in vielen Familien die Kinder zu Leitwölfen werden. Er schreibt in seiner Einleitung auch:

Wir sehen heute viele Familien, in denen die Eltern so große Angst haben, ihren Kindern zu schaden oder sie zu verletzen, dass die Kinder zu Leitwölfen werden. Und die Eltern streifen orientierungslos durch den Wald.

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, Jesper Juul

Jesper Juul weist damit auf etwas hin, das Michael Winterhoff bereits 2009 in seinem Buch fundiert auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen erörtert.

Subjekt-Subjekt Beziehungen in der Familie

Laut Autor sind Subjekt-Subjekt-Beziehungen Subjekt-Objekt-Beziehungen vorzuziehen; und dies nicht nur innerhalb der Familie, sondern auch im Beruflichen. Diese Annahme hinterlegt er mit einem Literaturhinweis; soweit so gut.

Erschreckend ist allerdings, dass diese Behauptung nach meinen Beobachtungen dazu geführt hat, dass der ein oder andere mit Erziehung heute verbindet, Kinder zu einem Objekt, also einer Sache, zu machen. Ich hoffe inständig, dass der Autor genau das nicht sagen wollte.

Gleichwürdigkeit

Jesper Juul hat daraus die Idee der Gleichwürdigkeit entwickelt. Eine Führung durch Eltern, die ihre Kinder gleichwürdig behandeln, beschreibt er so:

Sie ist proaktiv, empathisch, flexibel, dialogbasiert und fürsorglich.

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, Jesper Juul

Die Ausführungen zur gleichwürdigen Führung fallen knapp aus und dies mit fatalen Folgen wie sich heute meines Erachtens zeigt.

Proaktive Führung in der Familie

Mit Proaktiv meint Jesper Juul:

Proaktiv zu sein bedeutet, dass man als Erwachsener in der Lage ist, seinen eignen Werten und Zielen entsprechend zu handeln, anstatt lediglich auf das, was das Kind sagt oder tut, zu reagieren.

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, Jesper Juul

Es gibt bereits sogenannte Erziehungsratgeber, die dieses Verständnis umdeuten, und mit ‘proaktiver Erziehung’ verbinden, bevor ein Kind etwas tun könnte, als Mutter oder Vater einzuschreiten. Dies ist damit sicherlich nicht gemeint.

Proaktiv zu handeln, könnte zum Beispiel für Väter bedeuten, sich aktiv an der Hausarbeit zu beteiligen, wenn der Sohn ein weniger begrenztes Bild vom Mannsein entwickeln soll.

Empathie in der Erziehung

Empathie ist die Fähigkeit, einen anderen Menschen wirklich wahrzunehmen.

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, Jesper Juul

Emapthisch zu sein, bedeutet auch, mit der Tochter oder dem Sohn mitfühlen zu können. Dies setzt voraus, dass Väter und Mütter erst einmal in der Lage sind, die eigenen Gefühle wahrzunehmen. Ein sich in der Erziehung oft einstellendes Gefühl ist sicherlich Überforderung. Doch da die deutsche Gesellschaft zunehmend auf Funktionieren ausgerichtet ist, erlauben sich viele Mitmenschen genau dieses Gefühl nicht (mehr).

Insofern hängt Jesper Juul die Latte zur Erziehung recht hoch, und wenn es stimmt, dass er mit seinen Büchern wesentlichen Einfluß ausgeübt hat, dann wäre hier eine Erklärung für die Überforderung vieler Eltern zu suchen und eventuell zu finden.

Flexibel als Mutter oder Vater

Flexibel sein bedeutet, dass man in der Lage und willens ist, Veränderungen und Entwicklungen beim Kind und bei sich selbst zu berücksichtigen – im Gegensatz zu der Haltung, immer <<konsequent>> zu sein.

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, Jesper Juul

Ich habe bereits über Konsequenzen in der Erziehung gesprochen. Mit seiner Vorstellung von flexibel sein, hinterfragt Jesper Juul das konsequent sein um jeden Preis; das ist sicher angemessen. Doch auch diese Ausführungen haben die Konsequenz in der Erziehung geradezu verunmöglicht. Eltern, die bereits verunsichert sind, können mit derlei Forderungen komplett den Boden unter den Füßen verlieren.

Fürsorglich und dialogbasiert erziehen

Fürsorglich und dialogbasiert sein heißt, die Wünsche, Bedürfnisse, Gedanken, Ideen und Gefühle ernst zu nehmen und zu berücksichtigen – auch dann, wenn sie den eignen entgegengesetzt sind.

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, Jesper Juul

Mit der Gleichwürdigkeit betont Jesper Juul außerdem zum einen die Fürsorge und favorisiert zum anderen den Dialog gegenüber dem Monolog. Es ist keine Frage, dass Monologe in der Erziehung, und auch in der Pädagogik, keinen Kontakt ermöglichen. Doch mit der gleichzeitigen Betonung der Fürsorge ist es denkbar, dass Eltern aufgrund der Idee der Gleichwürdigkeit auf ihrem fürsorglichen Verhalten sozusagen hängen bleiben.

Helikopter-Eltern führen uns vor, welche Deutungen der Idee der Gleichwürdigkeit möglich sind. Diese Eltern stellen die Fürsorge in den Vordergrund, auch bei ihren Kindern, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, längst etwas anderes brauchen, um sich psychisch gesund entwickeln zu können.

Kinder wollen Erwachsene, die die Führung übernehmen

So schreibt denn Jesper Juul in seinem Kapitel Persönliche Autorität neu definieren fataler Weise:

Ja, es stimmt. Führung durch Erwachsene wird nie mehr so sein, wie sie einmal war. Da wir sie jedoch nach wie vor brauchen, sollten wir daran arbeiten, sie neu zu erfinden.

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie, Jesper Juul

Es ist also jedes Elternteil Aufgabe, eine eigene Führung zu erfinden? Im weiteren spricht Jesper Juul über persönliche Verantwortung, Selbstwertgefühl und gegenseitiges Lernen. Dabei grenzt er Verantwortung richtiger Weise von Schuld ab, verbindet Selbstwertgefühl mit Gefühlen und gegenseitiges Lernen mit einem Geben und Nehmen in der Eltern-Kind-Beziehung.

Dabei macht der Autor immer wieder bemerkenswert richtige Aussagen und stellt gleichzeitig Behauptungen auf, die nicht überprüfbar und durchaus diskussionswürdig sind, weil sie viel zu sehr verallgemeinern.

Grenzen von Kindern sind dieselben wie von Erwachsenen

Grundsätzlich haben Kinder auch ihre eigenen Grenzen, die diese mit zunehmendem Alter, mehr oder weniger deutlich zeigen oder mitteilen. Dabei sind sie zunächst bedingt in der Lage, ihre Grenzen erwachsen zu vertreten, denn sie sind Kinder.

Wenn es stimmt, was Jesper Juul sagt, dann sind Eltern gefordert, ständig auszuloten, wann sie wie die Grenzen ihrer Kinder in ihr erzieherisches Verhalten integrieren. Daraus können sich im Alltag ständig innere Konflikte ergeben, die Mütter und Väter mit sich selbst austragen müßten. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine leichte Aufgabe.

Respektvoller Umgang mit Grenzen unserer Mitmenschen

Mit den Grenzen unserer Mitmenschen respektvoll umzugehen, ist eine Aufgabe, die nicht klar umreißt, wie sich Eltern ihren Kindern gegenüber verhalten sollen. Bedeutet dies, die Grenzen des eigenen Sohnes oder der eigenen Tochter immer in den Vordergrund zu stellen und die eigenen Vorstellungen als Mutter oder Vater in den Hintergrund zu stellen?

Wenn Eltern sich diese Frage mit Ja beantworten, dann vermitteln sie ihren Kindern, dass deren Bedürfnisse und Grenzen die Beziehungen zwischen ihnen und ihren Eltern ausmachen. Mütter und Väter laufen dann Gefahr, sich nicht mehr authentisch zu verhalten.

Authentisches Verhalten

Doch Jesper Juul spricht in seinem Buch Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie über die Bedeutung authentischen Verhaltens in der Erziehung. Wenn Eltern ihr Verhalten, ihr erzieherisches Handeln ausschließlich auf die Bedarfe und Grenzen ihrer Kinder ausrichten, verhalten sie sich nicht mehr authentisch, weil das dann nicht mehr möglich ist.

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Fazit Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie

Das Buch Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie von Jesper Juul wirft nicht nur Fragen auf, sondern stellt auch Forderungen an Eltern, die scheinbar aus der beruflichen Praxis Jesper Juuls entstanden sind.

Das Konzept der Gleichwürdigkeit kann bereits verunsicherte Eltern in eine Art Erziehungsstase bringen, in der sie nicht mehr als Erwachsene handeln und erziehen. Die Idee der liebevollen Führung in der Familie kann so ad absurdum geführt werden.

Das Buch ist eher ein Plädoyer denn ein Erziehungsratgeber. Eltern fordert Jesper Juul auf, ihr eigenes Verhalten auf den Prüfstand zu stellen. Dabei bleibt er recht vage, zumindest in diesem Buch, in dem er viele Ansätze aus seinen Vorgängerbüchern aufnimmt.

Als Einstieg in die ‘Welt’ von Jesper Juul ist dieses Buch keinesfalls geeignet, da es die Ideen und Konzepte nur anreißt. Ein Erziehungsratgeber sollte verunsicherten Eltern Handlungssicherheit vermitteln. Dies leistet dieses Buch nicht.

Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie

5.1

Lesbarkeit

8.0/10

Verständlichkeit

7.5/10

Klärt Eltern auf

2.5/10

Klärt Fachkräfte auf

2.5/10

Gibt Eltern Rat

1.5/10

Gibt Fachkräften Rat

1.5/10

Autor ist Fachkraft

10.0/10

Preis/Leistung

7.0/10

Nachteile

  • Kein Ratgeber

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