Warum die Grundschule bei der Bildung der Grundlagen versagt

Zuletzt aktualisiert am 24. November 2022

In der Grundschule geht es um die Bildung der Grundlagen hinsichtlich Lesen, Schreiben und Rechnen. Zumindest verbinde ich mit einer Grundschule, dass ich nach der 4. Klasse die Grundfertigkeiten in den Fächern Deutsch und Mathematik als Schüler erlernt habe.

Nun gibt es im Weser Kurier einen Artikel, der darüber berichtet, dass vielen Bremer Schülern diese Grundlagen fehlen. Es stellt sich die Frage, wie das sein kann.

Dieser Frage gehe ich in meinem Artikel nach. Dazu werde ich meine eigenen Vorstellungen von Grundfertigkeiten in Deutsch und Mathematik mit den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz vergleichen.

Notwendige Grundfertigkeiten aus meiner Erfahrung

Bevor ich etwas zu den aus meiner Sicht notwendigen Grundfertigkeiten sage, muss ich einen Kommentar zum oben verlinkten Artikel zitieren. In dem Kommentar heißt es:

Ich kann schreiben. Das, was meine Tochter in der 7. Klasse kann, möchte ich nicht wirklich als “schreiben” bezeichnen.
Kommentar der damaligen Grundschullehrerin: “Ich habe nun schon so vielen Kindern lesen und schreiben beigebracht, aber nun darf ich keine Diktate mehr schreiben und die Fehler nicht mehr korrigieren, damit sie die Lust am Schreiben nicht verlieren.”
Das sagt doch eigentlich alles, oder?
Im Nachhinein kriegt man das nie wieder raus aus dem Kind 🙁

https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-vielen-bremer-schuelern-fehlen-die-grundlagen-_arid,1956447.html#comments

Es ist merkwürdig, doch bei dem Zitat fällt mir Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod ein. Mir fällt auch dazu ein, dass es tatsächlich Bundesländer in Deutschland gibt, in denen das Schreiben nach Gehör gängige Praxis ist oder hoffentlich war. Eine Grundschule, die Kinder nicht auf Fehler hinweisen darf, ist keine Bildungsinstitution, sondern eine Farce.

Lernstandsuntersuchung in Bremen

Zunächst einmal muss erwähnt werden, dass diese Erkenntnisse in Bremen durch eine Lernausgangslagenerhebung (Lale) gewonnen wurden.

Das Projekt Lale befindet sich im dritten Jahr. Lale setzt sich inzwischen aus Lale5 und Lale7 zusammen. Lale5 bezieht auf sich auf Schüler der 5. Jahrgangsstufe, Lale7 auf Schüler der 7. Jahrgangsstufe. Das Projekt testet nach beginn des Schuljahrs in 2 Stunden das Leseverstehen in Deutsch und sämtliche angestrebten Kompetenzen in Matthematik.

Im Artikel heißt es einleitend zu den Erkenntnissen:

Bei Kernkompetenzen wie Lesen und Mathematik erreichten insbesondere Kinder, die an Schulen mit schwierigem sozialen Umfeld unterrichtet werden, in den Jahrgängen fünf und sieben in vielen Fällen nicht die Mindeststandards, die am Ende der Grundschule erreicht sein sollten.

https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-vielen-bremer-schuelern-fehlen-die-grundlagen-_arid,1956447.html#comments

Die Mindeststandards ergeben sich aus den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz. Anhand von Beispielaufgaben kann man sich einen Eindrück verschaffen, was Kinder in Deutsch und Mathematik können sollen.

Deutsch in der Grundschule – Beispielaufgabe

Bildung der Grundlagen in der Grundschule – Text 1

Warum Schlafen wichtig ist

„Blöd, es ist erst sieben Uhr und ich soll schon ins Bett“, meckert Miriam. „Warum früher schlafen?“, mault Lukas. „Jeden Abend das gleiche Theater!“, stöhnt die Mutter. „Die Kids haben eben immer Angst, dass sie etwas verpassen.“ Aber dem ist nicht so. Auch im Schlaf sind dein Körper und dein Gehirn voll in Aktion.
Auch wenn du mit geschlossenen Augen ruhig daliegst, geht in dir die Post ab. Nach dem Einschlafen fällst du zuerst in einen fast Zwei-Stunden-Tiefschlaf. Dein Herz und dein Puls arbeiten langsamer. Deine Muskulatur entspannt sich. Dann aber beginnst du deine erste Traumphase. In jeder Nacht hast du 7 bis 8 Traumzeiten. Sie dauern jeweils nur einige Minuten. Aber sie sind lebenswichtig. In den Träumen werden alle Erlebnisse des Tages verarbeitet. Sie entstehen im Gehirn. Und zwar gerade dann, wenn es sich ausruht. Träume können dir zeigen, was dich im Inneren bewegt. Im Traum sammelt unser Inneres neue Kräfte. Darum sind alle Träume gut für uns, die schlechten und die schönen. In den Traumzeiten laufen viele Vorgänge in deinem Körper fast ebenso intensiv ab, als wenn du wach wärst. Damit nicht genug. In dieser Zeit wird zum Beispiel fast die gesamte Tagesmenge des Wachstumshormons hergestellt. Schlafen ist also bestimmt keine vergeudete Zeit. Im Gegenteil – Schlafen ist lebenswichtig.

https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_10_15-Bildungsstandards-Deutsch-Primar.pdf

Bildung der Grundlagen – Text 2

Wie viel Schlaf braucht der Mensch ?
1–4-Jährige⇒etwa 12 Stunden
5–8-Jährige⇒etwa 11 Stunden
9–10-Jährige⇒etwa 10 Stunden
11–15-Jährige⇒etwa 9 Stunden

https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_10_15-Bildungsstandards-Deutsch-Primar.pdf

Bildung der Grundlagen – Text 3

Schwierigkeiten beim Einschlafen können viele Gründe haben:
– Probleme mit den Eltern, Freunden, Schule…
– schlechte oder zu warme Luft im Schlafzimmer
– Wetterwechsel oder Vollmond
–Lärm
– Angst oder Nervosität

https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_10_15-Bildungsstandards-Deutsch-Primar.pdf

Bildung der Grundlagen in der Grundschule – Text 4

Warum brauchen Kinder mehr Schlaf als Erwachsene?
Fest steht, dass Menschen nicht aus purem Vergnügen schlafen, sondern weil der Körper diese Ruhephasen braucht. Zum Beispiel muss sich unser Gehirn von den vielen Eindrücken des Tages erholen. Babys erfahren und erlernen besonders viel – da muss das Oberstübchen erst einmal mitkommen. Daher brauchen sie bis zu 20 Stunden Schlaf am Tag. Manche Erwachsene kommen dagegen mit sechs bis sieben Stunden aus.

https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_10_15-Bildungsstandards-Deutsch-Primar.pdf

Bereits diese Beispielaufgabe läßt erahnen, dass Schüler und Schülerinnen zur Bearbeitung umfassende Kenntnisse der deutschen Sprache haben müssen.

Darüber hinaus müssen Schüler auch die Umgangssprache in Teilen beherrschen. Im Text 4 wird zum Beispiel vom Oberstübchen gesprochen. Es ist meines Erachtens keine Selbstverständlichkeit, mit diesem Begriff im Kontext etwas anfangen zu können.

Zusätzlich gibt es Hinweise, dass in Aufgaben Wörter verwandt werden, die nicht zum Grundwortschatz gehören, also nach der Grundschule nicht zwingend beherrscht werden müssen; im Text 1 zum Beispiel Muskulatur oder Wachstumshormon.

Unterschiedliche Entwicklungsstände und Bildung der Grundlagen in der Grundschule

Nun ist durchaus bekannt, dass Kinder mit unterschiedlichsten Entwicklungsständen eingeschult werden. Die Unterschiede zwischen Schülern haben sich in den letzten 2 Jahrzehnten sicher vergrößert. Die Ursachen sind vielfältig, sind allerdings nicht Thema dieses Artikels.

Eine Grundschule ist im Hinblick auf wichtige Entwicklungsschritte von Kindern eine wichtige Institution. Die Erfüllung dieser Aufgabe setzt allerdings vorraus, dass die Grundschule diese Aufgabe in den Blick nimmt. Oder anders formuliert brauchen Kinder in der Grundschule Zeit, die sie meistens nicht mehr bekommen.

Schule ist mehr auf Gleichschaltung als auf die individuelle Entwicklung von Kindern ausgerichtet. Durch ein Mehr an Inhalt, erzeugt durch aufgeblähte Lehrpläne, werden Kinder gezwungen, sich selbst aus dem Blick zu nehmen. Überforderung und Unterforderung von Kindern ist logischer Weise häufig die Folge. Die wird teilweise auch an der Fülle der Hausaufgaben sichtbar. Kinder können dann ihre persönlichen Entwicklungsaufgaben seltener meistern.

Die Bildung der Grundlagen in der Grundschule wird so zu einem Vabanquespiel, bei dem Kinder auch verlieren können.

Rechenschwäche und Lese-/Schreibschwäche

Ich habe vor kurzem einen Bericht über eine 21-jährige Frau gesehen, die große Schwierigkeiten im Rechnen hatte. Eine Rechenschwäche, auch Dyskalkulie genannt, wurde bei ihr allerdings erst spät, nicht in der Grundschule und auch nicht in der weiterführenden Schule, diagnostiziert.

Wenn Lehrer:innen nicht (mehr) darauf fokussieren (können), Schüler:innen in der Grundschule das Leben zu erleichtern, sondern zu erschweren, werden sie eher verpassen, solche speziellen Schwierigkeiten zu erkennen. Die aufgeblähten Lehrpläne werden hier wahrscheinlich ihren Teil beitragen. Es ist dann auch nicht verwunderlich, dass sich die eine Lehrerin oder der andere Lehrer fragt, ob sie oder er noch in einer Schule arbeiten möchte.

Bildung der Grundlagen in der Grundschule Eurer Kinder

Die Grundschule ist schon aufgrund ihres Namens die Institution, die die Bildung der Grundlagen auf ihre Fahne zu schreiben hat.

Wenn Kinder aus der Grundschule kommen, müssen sie rechnen, lesen und schreiben können; nicht mehr und nicht weniger.

Konzentriert sich die Grundschule Eurer Kinder auf die Bildung der Grundlagen? Läßt sie Euren Kindern Luft zum Atmen?

2 Gedanken zu „Warum die Grundschule bei der Bildung der Grundlagen versagt“

  1. Und dann? Bisher alles stimmig mit meinen Beobachtungen.
    Und das Ziel?
    Wo fangen wir an um von wem gehört zu werden?
    Der Ansatz machte neugierig auf alle Richtungen.
    Und jetzt?

    Antworten
    • Hallo Manfred,

      vielen Dank für Deinen Kommentar.

      Das Ziel sollte meines Erachtens sein, Kindern in der Grundschule ein Lernumfeld mit weniger Quantität und mehr Qualität zu bieten.
      Auch durch Einführung der PISA Studien hat die Betriebswirtschaft Einzug in deutsche Schulen gehalten, besonders auch in Grundschulen.
      Betroffen sind die Kinder (und Jugendliche), aber auch Eltern und Lehrer. Ein erster Schritt wäre aus meiner Sicht die Bewußtwerdung überfracheteter Lehrpläne, dadurch angespannter Beziehungen zwischen Schülern, Eltern und Lehrern, in der Breite der Gesellschaft.

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